Die Kunst der skelettierten Uhren

By Montredo in Lifestyle
Mai 13, 2019
Die Kunst der skelettierten Uhren

WENN AUS HANDWERK KUNST WIRD

Skelettierte Uhren demonstrieren große Kunst im Kleinen: Da die per se schon filigranen Uhrwerksteile bis auf ihre tragende Grundsubstanz durchbrochen sind, erlauben sie faszinierende Einblicke in ihren mikromechanischen Kosmos. Ihre subtile Formensprache ermöglicht überdies eine gestalterische Vielfalt, die die einzigartige Anmutung einmal mehr unterstreicht.


Echte Uhrenfans sind Technik-Voyeuristen – immer wollen sie ganz genau wissen, was sich unter dem Zifferblatt verbirgt. Die komplexe Mechanik des Uhrwerks, in dem sich Dutzende, zum Teil winzig kleine Komponenten aneinanderfügen und im perfekten Zusammenspiel die Zeit anzeigen, versetzt sie in helle Begeisterung. Umso faszinierender, wenn es sich dabei um ein skelettiertes Uhrwerk handelt, denn bei dieser traditionellen Handwerkskunst, die in der Welt der Haute Horlogerie seit jeher zum guten Ton gehört, wird jede Komponente – von der Platine über die Brücken, Kloben und Zahnräder „ausgesägt“ – sodass die Funktion der einzelnen Teile erkennbar und optisch in voller Schönheit in Szene gesetzt wird. Dabei versucht der Künstler, bis an die Grenze des technisch Machbaren zu gehen. Der erste, der diese ganz eigene Ästhetik initiiert hat, soll übrigens kein geringerer als der geniale Abraham-Louis Breguet gewesen sein. Seine Taschenuhr namens „Marie Antoinette“, die der Meisteruhrmacher und Erfinder des Tourbillons für die französische Königin schuf und fein skelettierte, fand besonders in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Frankreich Nachahmung in Form von Pendulen. In den 1930er-Jahren hielt die kunstvolle Veredelungsform auch Einzug in den Gehäusen der ersten Armbanduhren.

Champions League der Uhrmacherkunst

Obwohl man heute mithilfe moderner Technik Uhrwerksteile schnell, einfach und mit geringer Ausschussquote produzieren kann, gilt das Skelettieren per Hand als die Königsdisziplin. Beinahe alle Haute-Horlogerie-Marken pflegen diese noble Tradition im eigenen Haus, oft unterhalten sie spezielle Ateliers, in denen die zarten Kreationen gefertigt werden. Ein Berufsbild namens „Skeletteur“ gibt es nicht. Vielmehr fällt die anspruchsvolle Disziplin in den Bereich des Uhrmachers. Es versteht sich von selbst, dass nicht ein jeder dafür geeignet ist, denn um die filigranen Verzierungen manuell auszuführen, braucht es nicht nur ein hohes Maß an Fingerspitzengefühl und eine äußerst ruhige Hand – zwei Fähigkeiten, die eigentlich von vorneherein zum Berufsbild des Uhrmachers zählen – sondern zusätzlich auch die Fantasie und Kreativität eines Künstlers, damit am Ende ein ausdrucksstarkes und stimmiges Gesamtbild entsteht. Deswegen verbinden sich bei diesem zeitaufwändigen Fertigungsprozess Handwerk und Kunst zu einer besonderen Form der Handwerkskunst, für die einiges an Erfahrung vonnöten ist. Denn wird auch nur der Bruchteil eines Millimeters zu viel entfernt, kann dies später Einfluss auf die Ganggenauigkeit nehmen. Bei zu mutiger Bearbeitung besteht überdies die Gefahr, dass das Teil als Ausschuss im Abfalleimer landet.

Charisma bis ins kleinste Detail

Zunächst werden in die Komponenten des in Einzelteile zerlegten Werks winzig kleine Löcher gebohrt, durch die das zarte Blatt einer Uhrmachersäge geführt wird. So präzise wie möglich wird dann das Innere entfernt, damit der Skeletteur das eigentliche Motiv, das vorher mit einer winzig kleinen Nadel angerissen wurde, Stück für Stück ausschneiden kann. Der Toleranzbereich, vom dem wir hier sprechen, liegt bei Bruchteilen von Millimetern. Als einziges Hilfsinstrument zur Vergrößerung greift man hier auf eine Uhrmacherlupe zurück. Meist wird die Komponente auch noch mit eleganten Gravuren oder Zierschliffen – zarte Linien, opulente Ornamente oder gar individuelle Motive – versehen. Zum guten Ton zählt überdies die Finissierung der einzelnen Teile. Die scharfen Kanten werden von Meisterhand angliert, bevor sie mit einer Polierfeile glatt und glänzend geschliffen werden. Merkmale meisterlicher Handarbeit sind nicht nur die präzise ausgearbeiteten Winkel, sondern auch die Deckungsgleichheit übereinanderliegender Teile. Es versteht sich von selbst, dass auch bei dieser Feinarbeit jedem einzelnen Element akribische Perfektion zuteil wird. Vor der anschließenden Montage wird das Werk meist auch noch galvanisiert, damit die filigrane Mechanik, die offenherzig in ihr Innerstes blicken lässt, in goldenem Ton glänzt. Da die meisten Uhren des Genres mit einem Saphirglasboden ausgestattet sind, bieten sie sowohl von vorne als auch von der Rückseite den unverstellten Blick auf ihr Innenleben. Egal von welcher Seite man darauf blickt – immer zeigt sich ein beeindruckendes Kunstwerk.


Give me six!: Sechs ausdrucksstarke Skelettuhren quer durch die Preisbereiche, teilweise und vollständig skelettiert


Tissot Chemin Des Tourelles Squelette 42 Skeleton Dial

Dass sich Skelettuhren nicht zwingendermaßen im oberen Preissegment bewegen müssen, sondern durchaus bezahlbar sein können, beweist die altehrwürdige Schweizer Marke mit dieser Handaufzugsuhr. Bereits der Name ist ein Hinweis auf ihren traditionsbewussten Charakter: Die Zeitmesser der Linie Chemin des Tourelles zollen jener Straße in Le Locle, wo das Unternehmen 1907 seine Manufaktur errichtet hat und noch heute zuhause ist, ein Tribut. Das Zifferblatt rückt das bildschöne Unitas-Taschenuhrenkaliber effektvoll ins Rampenlicht. Wie es im Pflichtenheft einer Skelettuhr steht, ist es fein finissiert. So sind die Brücken und die Platine mit Perlage verziert, während das Federhaus in elegantem Sonnenschliff glänzt. Die römischen Indexe an den Kardinalspunkten unterstreichen die klassische Anmutung zusätzlich. Umschlossen wird das transparente Uhrengesicht von einem 42 Millimeter großen Edelstahlgehäuse.

Hamilton American Classic Jazzmaster Viewmatic

Auch diese mechanische Uhr des ebenfalls unter dem Dach der Swatch Group agierenden Herstellers wird ihrem Namen voll gerecht und präsentiert sich in attraktiver Preislage. Von beiden Seiten erlaubt sie freie Sicht auf die beeindruckende Architektur des automatischen Kalibers H-20-S. Sein Rotor, wie auch einige Werksteile, sind mit einem auf die Herkunft verweisenden, stilisierten „H“ verziert. Das betont eigenständige Design hier ist ein gutes Beispiel für die unendlichen Möglichkeiten, die das Skelettieren zum Individualisieren und Aufbringen einer unverwechselbaren Note bietet, denn die American Classic Jazzmaster Viewmatic ruft Erinnerungen an die goldenen Zeiten des Jazz in den „Roaring Twenties“ wach. Die Assoziation ist wohl kein Zufall, sondern eher gewünscht, denn die Wurzeln der heute Schweizer Marke liegen in den USA.


TAG Heuer Carrera Heuer 01 45mm Chronograph Titanium

Die waschechte Manufakturuhr bringt das Charisma der sportlich motivierten Rennfahrer-Linie mit alter Handwerkskunst zusammen. Das Chronographen-Kaliber Heuer 01 ist eine Weiterentwicklung des bekannten Calibre 1887. Stattliche 45 Millimeter im Durchmesser und wasserdicht bis 100 Meter umfasst das leichte Titangehäuse ein Zifferblatt, das tief in das Innere des Kalibers blicken lässt. Auf der Vorderseite offenbaren sich die Steuerelemente des Chronographen und die filigran durchbrochene Datumsscheibe. Auf der Rückseite erkennt man das rote Säulenrad, die Chronographenbrücke und die Schwungmasse. Um möglichst wenig von diesem traditionell inspirierten, aber sehr modern anmutenden Ensemble zu verdecken, sind auch die Indexe sowie der Stunden- und Minutenzeiger skelettiert. Nicht fehlen darf bei einer echten Rennfahreruhr die Tachymeterskala zur Berechnung durchschnittlicher Geschwindigkeiten. Diese trägt der Chronograph auf der kratzfesten Keramiklünette.


Zenith El Primero 45 Automatic Chronograph

Eine Manufakturuhr der Spitzenklasse, angetrieben von einem, wenn nicht dem berühmtesten Chronographenwerk aller Zeiten, ist diese El Primero von Zenith. 1969 gelangte die Marke mit diesem legendären Kaliber zu Weltruhm, denn es handelte sich um den ersten integrierten Chronographen mit Schaltradsteuerung und automatischem Aufzug, der aufgrund seiner hohen Unruhfrequenz von 36.000 Halbschwingungen pro Stunde die Zeit auf die Zehntelsekunde genau messen konnte. Mit dieser technischen Sensation machte Zenith weltweit Furore! Mittlerweile wurde die Uhr in über 600 Varianten produziert. Eine davon ist dieser Zeitmesser im markanten, 45 Millimeter großen und bis 100 Meter wasserdichten Gehäuse. Den Antrieb übernimmt das Kaliber El Primero 400B, ein voll integriertes Chronographenwerk mit automatischem Aufzug, ebenfalls ausgestattet mit Schaltradsteuerung und einer Frequenz von 36.000 A/h. Der mit einem Saphirglas versehene Gehäuseboden stellt das Kaliber und seinen mit Genfer Streifenschliffen verzierten Aufzugsrotor auf der Rückseite zur freien Schau. Auch das Zifferblatt zeigt sich kraftvoll und dynamisch. Ausschnitte hinter den drei stilbildenden Totalisatoren zeigen die Ästhetik der Technik. Wie auch bei der TAG Heuer ist der Datumsmechanismus zu erkennen. Breite rhodinierte Stundenmarker mit facettierten Kanten heben sich deutlich vom Hintergrund ab, um das Ablesen zu erleichtern. Der lange Stoppsekundenzeiger aus der Mitte ist rot lackiert und trägt als Gegengewicht das Markenzeichen, einen kleinen Zenith-Stern.


Hublot Big Bang 44 Aero Bang Sugar Skull L.E.

Der Totenkopf als Vanitas-Symbol für die Vergänglichkeit ist eine beliebte Vorlage im elitären Kreis der Skelettuhren. Auch die Genfer Uhrenmanufaktur, die nicht nur für ihre einzigartige Expertise im Bereich der Materialforschung und –anwendung bekannt ist, sondern auch für das Know-how und die Pflege alter Handwerkskünste wie das Skelettieren, wurde von dem schaurig-schönen Motiv zu einem Zeitmesser in ihrer legendären Linie Big Bang inspiriert. Hublot wäre nicht Hublot, wenn die Anmutung nicht außerordentlich avantgardistisch wäre. So ist die Big Bang 44 Aero Bang Sugar Skull L.E. gänzlich in schwarze Keramik gekleidet. Das 44 Millimeter große und bis 100 Meter wasserdichte Gehäuse umfängt ein automatisches Chrongraphenwerk mit Datumsanzeige zwischen vier und fünf Uhr. Dieses kommt hinter dem offen gearbeiteten Zifferblatt zum Vorschein. Die Chronographenzähler bilden die „Augen“ des Totenkopfs. Die exquisite Anmutung wird durch die marmorierte Lünette und das mit einem floralen Muster geprägte Lederband unterstrichen.


Corum Golden Bridge

1980 erstmals vorgestellt, ist die Corum Golden Bridge eine echte Ikone des Genres. Ihr stabförmiges Werk, dessen Bestandteile sprichwörtlich bis auf das Minimum reduziert sind, geht auf den Meisteruhrmacher Vincent Calabrese zurück. Ihrem Namen entsprechend erstreckt sich das feinst dekorierte Kaliber wie eine Brücke von zwölf bis sechs Uhr. Deswegen liegt die Krone zum Aufziehen der Uhr auch zwischen den oberen Bandanstößen. Um die atemberaubende Mechanik von allen Seiten sichtbar zu machen, ist selbst in der Flanke des Gehäuses ein Saphirglasfenster untergebracht. Bei dieser ausdrucksstarken Variante hat die Schweizer Marke aus La Chaux-de-Fonds ein kokett geschwungenes, tonneauförmiges Gehäuse gewählt. Das legendäre Modell ist überdies mit rundem oder rechteckigem Gehäuse erhältlich. Egal in welcher Form – seit über 37 Jahren setzt das mechanische Kleinod Maßstäbe im Bereich der Skelettuhren..


Einen exklusiven Einblick in die Entstehung der Golden Bridge zeigt unser Video „Meet the Manufacturer – Corum“. Verfolgen Sie die Metarmorphose eines Uhrwerks zu einem echten Kunstwerk.


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