Erschwingliche Uhren mit Silizium-Komponenten

By Montredo in Watch 101
September 29, 2020
Erschwingliche Uhren mit Silizium-Komponenten

Über 200 Jahre lang versuchten Uhrmacher auf der ganzen Welt, temperaturresistente Uhren zu bauen, die bei -10°C genauso zuverlässig wie bei 30°C ticken würden. Dafür muss jedoch die Unruh ungeachtet der Temperatur regelmäßig schwingen, was mit Edelstahl-Unruhen nicht gegeben war. Diese ziehen sich nämlich bei Kälte zusammen und dehnen sich bei Wärme aus, was sie verschieden schnell schwingen lässt. Das zugrundeliegende Phänomen wird in der Uhrmacherei als „Isochronismus“ genannt und beschreibt die Gleichförmigkeit von Schwingungen. Je höher der Isochronismus, desto gleichmäßiger „atmet“ das Regulierorgan der Uhr und desto präziser ist der Gang.

Mit der „Freak“ stellte Ulysse Nardin im Jahr 2001 erstmalig Silizium in einem Uhrwerk vor und ebnete den Weg für eine neue Art von Hemmung – dazu später mehr. Obwohl der erste Prototyp aus der Feder von Ludwig Oechslin noch stark ausbaufähig war und die Marke anfangs noch von einigen Mitstreitern belächelt wurde, kristallisierte sich zusehends der Nutzen des neuartigen Materials heraus. Daher wurde Silizium immer weiter verfeinert und von mehr und mehr Branchenriesen angewandt.

Ulysse Nardin Freak 2001
Der Freak, der die Silizium-Entwicklung 2001 ins Rollen brachte. © Ulysse Nardin

Was das Element kann, warum es für die Uhrenindustrie wichtig ist und welche erschwinglichen Uhren bereits auf fortschrittliche Silizium-Komponenten setzen, erfahrt ihr in diesem Artikel.

Die Vorteile von Silizium

Silizium ist ein halbmetallisches Element und nach Sauerstoff die auf der Erde am zweithäufigsten vorkommende Substanz. Besonders in der Uhrenindustrie ist das Material von besonderer Relevanz, da es einige wichtige Eigenschaften aufweist, die die Präzision einer Uhr erhöhen.

In erster Linie ist es unempfindlich gegenüber Magnetfeldern und dabei äußerst korrosions- und verschleißfest. Im Vergleich zu Stahl ist Silizium zudem deutlich leichter und härter und ist aufgrund der natürlichen Verschleißresistenz nicht auf Schmierung angewiesen. Dadurch, dass Silizium-Komponenten in einem Ätzverfahren hergestellt werden und so Stanzen, Fräsen und Schleifen der Vergangenheit angehören, sind außerdem komplexere Formen als bei Edelstahl möglich.

BREGUET ESCAPE-WHEEL AND LEVER IN SILICON
Ankerrad und Anker schimmern bläulich. © Breguet

Wer benutzt Silizium?

Nun, während die Schweizer Uhrenindsutrie nach außen hin gerne das Image einer Postkarten-Idylle aufrechthält, geht es hinter den Kulissen heiß her. Zwar stimmt es, dass Silizium in den letzten Jahren zunehmend häufiger verwendet wurde, doch die wirklich uneingeschränkte Verwendung wird immer wieder durch Rechtsstreitigkeiten behindert.

Zum derzeitigen Moment haben nur ausgewählte Unternehmen das Recht, Silizium-Spiralfedern zu verwenden, allen voran Patek Philippe, Rolex und die Swatch Group, die in einem entsprechenden Forschungsprojekt mit dem CSEM (Centre Suisse d’Electronique et de Microtechnique) zusammengearbeitet haben und bis 2021 die entsprechenden Patente halten. Ulysse Nardin besitzt durch seine Partnerschaft mit dem Mikrokomponenten-Hersteller Mimotec ein eigenes Patent.

Baume et Mercier Clifton Baumatic
Nicht von allen gleichsam geliebt: die Clifton Baumatic. © Baume & Mercier

Was ansonsten passiert, zeigte ein prominentes Beispiel aus dem Jahr 2018. Damals hat nämlich die krisengeplagte Uhrenmarke Baume & Mercier passend zur SIHH (heute Watches & Wonders) einen echten Lichtblick in Form einer neuen Clifton Baumatic vorgestellt: 40mm-Durchmesser, 120 Stunden Gangautonomie, Chronometer-Zertifikat, hübsches Design, ein Preis von 2.600€ und ein leistungsfähiges Uhrwerk (BM12-1975A) samt Silizium-Komponenten von Richemonts Uhrwerkhersteller Valfleurier. Bei der Uhr stimmte einfach (fast) alles.

Einzig die Tatsache, dass Baume & Mercier als Richemont-Tochter Komponenten aus Silizium verbaute, war einigen eingangs genannten Akteuren ein großer Dorn im Auge. Die Verwendung ist nämlich in der Uhrenindustrie zurzeit noch das reinste juristische Minenfeld, in dem der Wettbewerb mit entsprechenden Patenten kleingehalten wird. Das Ende vom Lied war, dass Baume & Mercier die Produktion des Kalibers letztlich aufgrund von Androhung rechtlicher Schritte eingestellte. Die Uhr gibt es zwar nach wie vor, allerdings nunmehr ohne besagte Technologie.

3 günstige Alternativen unter 2.000€

Trotz des Rosenkrieges im Hintergrundes wurden Silizium-Komponenten stark demokratisiert, sodass die einst Highend-Uhren vorbehaltenen Technologien heute auch bei Einstiegsmodellen zu finden sind. Insbesondere die Swatch Group hat viele Uhren in petto, die für unter 2.000€ erhältlich sind und Unruhspiralen aus Silizium vorweisen.

3. Tissot Ballade Powermatic 80 COSC

Tissot Ballade Powermatic 80 COSC

Die hier abgebildete Referenz T108.408.16.057.00 war Tissots erste Uhr, die von einer Silizium-Spirale profitierte. Die Uhr setzt auf ein stark modifiziertes ETA 2824-2-Kaliber namens „Powermatic 80“, welches exklusiv von ETA für Tissot hergestellt wird (und aufgrund der starken Modifikationen hausintern ETA C07.111 genannt wird). Dank einer heruntergetakteten Frequenz – von 4 Hz auf 3 Hz – erreicht sie zudem eine stattliche Gangreserve von 80h.

Unverbindliche Preisempfehlung: € 867,56.

2. Mido Baroncelli Caliber 80 Chronometer Si

Mido Baroncelli Caliber 80
Das Si auf dem Rotor deutet es an: Es ist Silizium im Spiel.

Auch Mido, eine weitere Swatch-Marke, setzt in ihren eleganten Baroncelli-Chronometern auf Silizium-Technologie. Das abgebildete Modell (Ref. M027.408.11.011.00) behaust das Mido Kaliber 80 auf Basis des ETA C07.821, welches sich durch den Saphirglasboden betrachten lässt. Das auf 25 Steinen gelagerte Automatikuhrwerks mit Elinflex-Zugfeder verfügt überdies über eine Silizium-Spiralfeder und 80h-Gangreserve.

Unverbindliche Preisempfehlung: € 1.043,03.

1. Certina DS Chronograph Automatic

Certina DS Chronograph Automatic
Außen klassisch, innen innovativ: Certina DS Chronograph Automatic.

Die dritte Uhr im Bunde, Certinas neuer DS Chronograph Automatic (Ref. C038.462.16.037.00), gehört auch zur Swatch-Dachgruppe und kommt somit auch in den Genuss der Siliziumspirale. Das verbaute Automatikwerk basiert auf dem Valjoux 7753, ist in einem 42mm-Gehäuse untergebracht und verfügt auf der Zifferblattseite über eine Tachymeter- und Telemeter-Skala. Die Gangreserve beträgt 60 Stunden.

Unverbindliche Preisempfehlung: € 1.842,00.


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Vorherige Kommentare (5)

  1. Im Interview mit WatchBox hat Philippe Dufour gesagt, dass es keinen Beweis gebe, dass Silizium wirklich besser performt als Edelstahl. Dann wiederum denke ich mir, wenn Rolex & PP das benutzen, dann wird es wohl tatsächlich besser sein. Wisst ihr dazu was?

    September 30, 2020
  2. Könnt ihr mal in einem Artikel Parachrom und Syloxi gegenüberstellen?

    Oktober 2, 2020
  3. […] zur Verwendung von Silizium in der Uhrenindustrie gibt es übrigens in unserem Artikel Erschwingliche Uhren mit Silizium-Komponenten.) Des weiteren werden 30 weitere Werks-Komponenten aus Nichteisen- oder nichtmagnetischen […]

    Oktober 15, 2020
  4. […] mechanischen Uhr. Insbesondere der Feder kommt dabei eine überaus wichtige Aufgabe zu (mehr dazu hier), weshalb Rolex keine Kosten und Mühen gespart hat, eine technisch innovative Lösung zu […]

    November 16, 2020
  5. Sehr gute Spierale

    April 10, 2022

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